Department of Social Policy and Social Security Studies

"Nie war ich so froh, dass die Polizei in der Nähe war"

Monday 4 June 2018

Im Schwedischen ist nach ihm sogar ein Wort benannt: „Wallraffen“ heißt dort soviel wie "verdeckt recherchieren". Günter Wallraff ist der vermutlich bekannteste investigative Journalist in Deutschland. Ganz ohne Verkleidung war Wallraff am 29.Mai 2018 zu Besuch in einer Vorlesung im Studiengang Nachhaltige Sozialpolitik und erzählte vor vollbesetzten Rängen von seiner aufklärerische Arbeit.

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Wallraff hat weder Journalismus, noch überhaupt etwas studiert. Nach dem Abitur hat er eine Buchhändlerlehre gemacht. Als einer der ersten Jahrgänge wurde er zur Bundeswehr eingezogen, geriet dort aber schnell in Konflikt mit den Vorgesetzten, die ihm attestierten, „weder zum Krieg noch zum Frieden tauglich zu sein“. Anschließend jobbte Wallraff in Industrieunternehmen im Ruhrgebiet und lernte die damals katastrophalen Arbeitsbedingungen kennen.

Er schrieb Reportagen über diese Arbeitsverhältnisse, die ihn in Buchform unter der Überschrift „Industriereportagen“ schnell bekannt machten. Die Arbeitgeber hängten „Steckbriefe“ auf, damit andere Industrieunternehmen vor ihm „gewarnt“ waren, so dass Wallraff nur noch in Verkleidung und unter falschem Namen weiterarbeiten konnte. So wurde die „Methode Wallraff“ geboren.

Sein Bekanntheitsgrad wuchs noch weiter, als er sich unter falschem Namen in der Bildzeitungsredaktion einschlich und anschließend sein Buch „Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“ veröffentlichte. Sein größter Coup war allerdings, als er sich in den 1980er-Jahren als Türke Ali durch die Unterwelt von Leiharbeit und prekärer Arbeit im Gastarbeitermilieu bewegte und darüber sein Buch „Ganz unten“ publizierte, das bis heute meistverkaufte Sachbuch Deutschlands.

An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg garnierten Wallraff und Gastdozent Prof. Hektor Haarkötter die Vorlesung mit vielen Videoausschnitten aus Wallraffs Filmschaffen. Die meisten Diskussionen unter den Studierenden gab es zu einem Ausschnitt aus der Reportage „Schwarz auf weiß“ aus dem Jahr 2009, in der Wallraff in die Rolle des Somaliers Kwami Ogonno schlüpfte. Eine Szene im Regionalzug mit Anhängern der Fußballmannschaft Dynamo Dresden war so bedrohlich, dass Wallraff alias Kwami Ogonno von der Polizei aus der Situation gerettet werden musste. „Nie war ich so froh, dass die Polizei in der Nähe war“, erzählte Wallraff. Mit den Studierenden redete Wallraff auch über die kritischen Positionen zu dieser Form von „Blackfacing“.

Im Anschluss verschenkte Wallraff gegen Spende seine jüngsten Bücher an die Studierenden der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Auf diese Weise kam ein dreistelliger Betrag für den Türkischen Rechtshilfefonds zusammen, in dem Wallraff und Haarkötter sich gemeinsam für die in der Türkei inhaftierten Journalist/innen engagieren.