Zentrum für Ethik und Verantwortung (ZEV)

Gert Scobel über Moral, Information und Technologie

Donnerstag, 10. Februar 2022

Am 13. Dezember 2021 sprach Prof. Gert Scobel im Rahmen der Ringvorlesung über das Moral-Machine-Problem und die Begründbarkeit moralischer Tatsachen

In der letzten Sitzung der Ringvorlesung im Jahr 2021 sprach Prof. Gert Scobel über das Moral-Machine-Problem sowie über das MIT Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und ging der Frage nach, wie eine Moral Machine im Kontext moralischer Bildung zu bewerten ist. Prof. Gert Scobel ist Wissenschaftsjournalist und Moderator bei 3sat sowie Honorarprofessor für Interdisziplinarität und Philosophie am ZEV.

In der heutigen, technologisch hoch entwickelten Zeit, in der es vor wenigen Jahren noch undenkbare Anwendungen wie das autonome Fahren gibt, stellen sich zwangsläufig neue  Fragen nach dem richtigen Verhalten und wie dieses begründet werden kann. Eine sehr schnelle Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat Bedenken aufkommen lassen, wie Maschinen moralische Entscheidungen treffen werden. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die ethischen Grundsätze, die das Verhalten von Maschinen leiten sollten, spielen hier eine zentrale Rolle.

Einleitend zu seinem Vortrag stellte Gert Scobel eine Klärung der Begriffe Ethik, Moral, Metaethik. Die Ethik als die „Mathematik des Ethos“ hat dabei die Aufgabe das auf Moral/Ethos beruhenden Handelns und die damit verbundenen Begründungen und Argumente die wissenschaftlich-kritische zu diskutieren und zu analysieren. Sie versucht in diesem Kontext Antworten zu finden beispielsweise auf  die Fragen was „gut“ ist oder was dies in einem bestimmten Kontext bedeutet, was wir tun sollen und wie wir dies begründen sowie welchen Status normative Behauptungen haben. Die Suche nach diesen Antworten durchzieht die Philosophiegeschichte und ein Versuch der Systematisierung ist auch kein neues Unterfangen. Gert Scobel verwies insbesondere auf Nietzsches Suche nach moralischen Tatsachen und einer empirisch gefestigten, einheitlichen Moral.

moral-machine_example.png (DE)

Um diese moralischen Dilemmas, mit denen bspw. auch moderne Anwendungen wie autonome Fahrzeuge konfrontiert werden, zu erforschen, wurde die Moral Machine entwickelt. Diese ist experimentelle Online-Plattform des Massachusetts Institute of Technology und sammelte bisher 40 Millionen Entscheidungen von Menschen in 233 Ländern. Die gesammelten Daten werden aufbereitet, um auf diesem Weg globale moralische Präferenzen zusammenzufassen, individuelle Unterschiede aus verschiedenen demografischen Zonen zu dokumentieren, über kulturübergreifende ethische Unterschiede zu berichten und zu zeigen, dass diese Unterschiede mit modernen Institutionen und kulturellen Merkmalen korrelieren. Schlussendlich sollte erörtert werden, wie diese Präferenzen zur Entwicklung globaler, gesellschaftlich akzeptabler Prinzipien für die Maschinenethik beitragen können.

Gert Scobel bezweifelte in seinem Vortrag zunächst einmal grundsätzlich die empirische Begründbarkeit von Moralität. Diese sei durch das Konzept „was viele entscheiden muss richtig sein“ nicht herleitbar. Zur Veranschaulichung dieser These ging er auf das Trolley-Problem ein, bei dem in verschiedenen Szenarien eine Entscheidung über das in Kaufnehmen des Todes einer Person, für das Retten der Leben mehreren Personen, getroffen wird. Hierbei erläuterte er signifikante Abweichungen zwischen westlichen und ostasiatischen Ländern, was unter anderem auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen sei. Bezogen auf das autonome Fahren stelle sich die Frage: Wie soll ein in Deutschland hergestelltes, autonomes Auto nach z.B. China exportiert werden? Nach welchen Werten und moralischen Entscheidungen wird es dort entscheiden, wenn es keine global gültigen Werte gibt?

Eine mögliche Antwort auf die aufgeworfenen Herausforderungen sieht Gert Scobel in einem MIT-Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, wobei MIT in diesem Fall nicht für das oben erwähnte Institut sondern als Abkürzung die drei Aspekte Moral, Information und Technikanwendung steht. Der Sinn für Ethik und Moral soll in diesem MIT-Projekt geschärft werden. Auch der Punkt Information und Gesellschaft sei zentral für das agieren als Wissenschaftler:in in der Gesellschaft. Die Technikanwendung bezieht sich auf das Technologie-Design. Hierbei stellen sich Fragen wie, was sind moralische Tatsachen? Wie spiegeln sich diese in der Informationsgesellschaft wieder? Und wie kann ein Konflikt transparent gemacht werden? Laut Scobel ist die Integration von Ethik in einzelne Studienfächer eine Möglichkeit offene Fragen im Bezug auf moralische Dilemmas zu klären. Sein Fazit ist ganz klar, dass wir über moralische Tatsachen reden müssen. Denn wir wissen nur, wie unterschiedliche Menschen sich verhalten, nicht wie sie sich verhalten sollten.

Im Anschluss an den Vortrag kam ein reger Austausch der Zuhörer:innen mit Gert Scobel zustande. Scobel erläutert nochmals, dass Ethik aus seiner Sicht nicht algorithmisiert werden kann. Jede Situation ist beliebig komplex, so dass es nicht möglich sei, einen ethischen Algorithmus für alle Systeme zu programmieren. Zum Abschluss stellte er den Denkanstoß in den Raum: Wir können uns selbst nicht durchschauen und klar verhalten, wie soll es dann ein künstliches System können?

Die Ringvorlesung des ZEV ist Teil des hochschulweiten Projektes Campus to World, das von der Bund-Länder-Förderinitiative "Innovative Hochschule" gefördert wird.

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