Direkt zum Inhalt

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

Archiv - „BildungsMehrMut“ - Interview mit Herrn Dr. Krickhahn

Welche Motivation hatten Sie, Herr Dr. Krickhahn, sich für BildungsMehrMut zu engagieren?

„BildungsMehrMut ist für mich schon aus persönlichen Gründen eine sehr bedeutsame Initiative unserer Hochschule. Meine eigene Betroffenheit motiviert mich auch zum Mitwirken bei BildungsMehrMut. Die Betroffenheit resultiert vor allem daraus, dass ich als Vollwaise bei meiner Großmutter (*1895) und als sogenanntes nichteheliches Kind aufgewachsen bin, denn meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt tragisch gestorben.

Die gesamte übrige Familienverwandtschaft hat die Flucht im Krieg nicht überlebt. So war es allein schon aus dem sozialen Umfeld heraus klar, dass für mich nach der Grundschule nur die Hauptschule in Frage kommen könnte. An das Gymnasium geschweige denn an ein Studium hat niemand auch nur gedacht, zudem war Geld immer knapp, denn wir mussten von Sozialhilfe und meiner kleinen Waisenrente leben. So erinnere ich mich, dass stets das Geld für meine Schulmaterialien und für Bekleidung fehlte und wir zu Weihnachten noch „Care-Pakete“ aus Amerika erhielten.  Gleichwohl hatte ich  Glück, weil meine Klassenlehrerin in der Hauptschule Potential bei mir erkannte und  mir eine Empfehlung für die Handelsschule schrieb. Das war entscheidend, denn nur so konnte ich mich auf den Weg zunächst zur Realschulreife und einer entsprechenden Berufsausbildung auf dem zweiten Bildungsweg machen. Das hat mir gezeigt: es kommt entscheidend auf Menschen an, die Optionen aufzeigen, Orientierung geben und die somit helfen, Entscheidungen zu treffen! Heute möchte ich jemand sein, der anderen, zum Beispiel auch unseren Studierenden, Optionen aufzeigen und Orientierung geben kann, auch gerade dann, wenn für unsere Studierende der Weg einmal nicht so klar erscheint.“

 

Worin sehen Sie die besonderen Herausforderungen für bildungsferne Schüler und Schülerinnen sowie Studierende?

„Der familiäre Background ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, um erfolgreich durchs Leben zu gehen. Ich meine beispielsweise eine angemessene kulturelle Bildung, entsprechende Umgangsformen und auch den Sprachgebrauch, alles wichtige Faktoren, die Menschen durchaus von Zuhause mitbekommen könnten. Das fehlte bei mir komplett. Daraus ergab sich aber auch die für mich entscheidende Prägung: Ein Studium war außerhalb jeglicher gedanklicher Reichweite! Das änderte sich wiederum erst durch das Vorbild eines Freundes. Ohne die vielen Gespräche mit ihm und Anregungen aus seinem Studium wäre ich wohl nicht den risikoreichen Schritt gegangen, hätte meinen sicheren Beruf als Bahnbeamter aufgegeben, mein Abitur nachgeholt, um ein Studium aufzunehmen. Nicht erst heute bin ich meinem Freund dankbar für den wertvollen Impuls und die motivierenden Gespräche von einst!“

 

Was ist Ihr eigenes Ziel zum Thema BildungsMehrMut?

„Ich möchte mehr Mut zur Bildung machen, d.h. ich versuche klar zu machen, dass Bildung eine wesentliche Voraussetzung zur Entfaltung und Emanzipation eines Menschen ist und die besten Chancen im beruflichen aber auch privaten Leben generiert. Heute habe ich glücklicherweise sehr viel Kontakt zu Studierenden und kenne vielfach die familiären Hintergründe. Bei nicht wenigen Studierenden kann ich sowohl Hilfestellungen als auch Impulse geben und vielleicht selbst als Beispiel dienen, dass vieles geht, auch wenn die Startchancen noch immer sehr ungleich verteilt sein mögen. In zahlreichen intensiven Gesprächen mit Studierenden loten wir gemeinsam aus, welche individuellen Möglichkeiten im Einzelnen bestehen.“

 

Hätten Sie hier einmal ein konkretes Beispiel für uns?

Als bestes Beispiel möchte ich auf unsere „Schreibwerkstatt“ und auf unsere studentischen Tutorien verweisen, die ich regelmäßig gerne empfehle, weil ich hier sehr gute Rückmeldung seitens der Studierenden erhalten habe und auch selbst den Lernfortschritt erkenne. Im Rahmen meiner Veranstaltungen lege ich einen besonderen Schwerpunkt auf die Didaktik. Mir ist es ein sehr großes Anliegen, Ängste vor den mathematischen Fächern abzubauen, ganz im Sinne unseres „ProMintUs-Projekts“ an der Hochschule.

Außerdem stehe ich zusätzlich für Fragen zur Verfügung, die sowohl fachlich als auch persönlich sein können, beispielsweise Fragen zur Schwerpunktfachausrichtung oder auch wie lerne ich richtig für das Fach Statistik. Hierfür nehme ich mir stets Zeit. Einer meiner Vorsätze, die ich mir klar gesetzt habe, ist die intensive Betreuung von Bachelorarbeiten, und die Fragestellung „wo stehe ich heute und wo will ich hin“. Meine Beratung zielt dahin zu klären, wie kann ich mein persönliches Ziel mit meiner Abschlussarbeit am besten erreichen? Das schließt natürlich neben dem Lebenslauf das Entwicklungspotential eines Studierenden mit ein. Wie wichtig dies ist, wird mir immer wieder verdeutlicht, wenn unsere Alumni viele Jahre später den Kontakt zu mir suchen und mir erzählen, wie sich ihr Leben entwickelt hat. Natürlich freut es mich, wenn ich daran beteiligt sein durfte, die richtigen Weichen zu stellen.“

 

Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft?

„Ich wünsche mir, dass Hochschulen und Schulen einen noch engeren Kontakt pflegen und sich in Gesprächen intensiv miteinander abstimmen, was die Erwartungshaltungen an Schülerinnen und Schüler angeht. Lehrerinnen und Lehrer sollten noch besser wissen, was auf ihre Schüler zukommt, wenn sie ein Studium aufnehmen und sie gezielt auf den Wechsel zur Hochschule vorbereiten können. Insgesamt gilt es, einen Fortschritt im Hinblick auf Chancengleichheit im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland zu realisieren. Die Hochschule trägt in dieser Hinsicht mit Verantwortung.“

Vielen Dank für das Gespräch Herr Dr. Krickhahn!

Das Gespräch führte Anne Schaefer.

[Zurück zum Newsletter