Zentrum für Ethik und Verantwortung (ZEV)

"Das Ende des Gemeinwohls?" - Ergebnisse der Studierendenkonferenz

Konferenz Das Ende des Gemeinwohls ZEV StA 20251016 Foto Juri Kuestenmacher 001.JPG

Montag, 1. Dezember 2025

Aus ganz Deutschland reisten Studierende, Forschende und gesellschaftlich Engagierte zum Campus Sankt Augustin der H-BRS, um gemeinsam zu diskutieren, wie Klimakrise, soziale Ungleichheit und Rechtspopulismus das Gemeinwohl unter Druck setzen. Die Atmosphäre im ausgebuchten Audimax der Hochschule war lebendig, kritisch und geprägt von der Bereitschaft, nicht nur Symptome zu bekämpfen, sondern systemische Ursachen klar zu benennen.
Konferenz Das Ende des Gemeinwohls ZEV StA 20251016 Foto Juri Kuestenmacher 043.JPG
Organisierten das Event: Die Studierenden Christian Kessler, Isabella Grabowski und Leon Ueberall (nicht im Bild: Hanne Kossmann). Foto: Juri Küstenmacher/H-BRS

Auch wenn sich die Erkenntnisse eines ganzen Tages voller spannender Vorträge und Diskussion nur schwer in Kürze zusammenfassen lässt, hier ein paar Schlaglichter auf wichtige Erkenntnisse:

Klimakrise

Die Klimakrise wurde durchgehend als größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts beschrieben – nicht als moralisches Projekt, sondern als wissenschaftlich belegte Realität mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme. Besonders deutlich wurde: Die Belastungen treffen ökonomisch benachteiligte und marginalisierte Gruppen zuerst und am stärksten. Klimaschutz wird nur dann gesellschaftlich tragfähig, wenn er sozial gerecht ausgestaltet ist. Positiv formulierte Zukunftsnarrative, klare Verantwortungszuweisungen und solidarische Lösungsansätze wurden als zentrale Hebel hervorgehoben, um politische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und gesellschaftliche Resignation zu überwinden.

Konferenz Das Ende des Gemeinwohls ZEV StA 20251016 Foto Juri Kuestenmacher 062.JPG
Moderator Gert Scobel am Rednerpult im Audimax. Foto: Juri Küstenmacher/H-BRS

Rechtspopulismus

Der Themenblock zum Rechtsruck machte deutlich, wie stark rechte Akteure den öffentlichen Diskurs derzeit prägen – und wie sehr sie davon profitieren, wenn ihre Begriffe, Deutungen und Frames übernommen werden. Ein zentrales Learning der Konferenz war daher: Jede Beteiligung am rechten Kulturkampf, ob in ironischer oder kritisch-distanzierter Form, kann zur Normalisierung rechtsextremer Positionen beitragen.

Matthias Meyer vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) verdeutlichte dies anhand aktueller politikwissenschaftlicher Forschung: Konservative Annäherung an rechte Positionen, sogenannte „accommodative strategies“, schwächen extrem rechte Akteure nicht. Im Gegenteil, sie werten diese auf und verschieben demokratische Normen. Das Wiederholen ihrer Sprache speist ihre Narrative in den Mainstream ein. Deshalb muss Gegenkommunikation strategisch, reflektiert und klar werteorientiert erfolgen.

Die Analyse der AfD verdeutlichte schließlich, wie weitreichend rechte Akteure demokratische Institutionen systematisch unter Druck setzen. Besonders in ostdeutschen Kommunen kommt es demnach zu gezielten Untergrabungsversuchen: Bildungsorganisationen würden delegitimiert, Beschäftigte bedroht, Behörden mit Anzeigen überzogen. Durch kalkulierte sprachliche Zuspitzungen verschiebe die AfD die Grenzen des Sagbaren, mit dem Ziel, Misstrauen in staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen zu säen.

Ergänzend zeigte Wolfgang M. Schmitt in seinem Vortrag, wie eng rechtspopulistische Resonanzräume mit gesellschaftlichen Krisenerzählungen verknüpft sind. Etwa mit meritokratischen Narrativen, die individuelle Verantwortung betonen, Solidarität verdrängen und strukturelle Ungleichheiten ausblenden. Politische Akteure sollten sich daher stärker an den tatsächlichen Problemen der Bevölkerungsmehrheit orientieren: ökonomische Benachteiligung, Ungleichverteilung, Preissteigerungen, soziale Sicherheit.

Konferenz Das Ende des Gemeinwohls ZEV StA 20251016 Foto Juri Kuestenmacher 083.JPG
Kurze Mittagspause in der Hochschulstraße. Foto: Juri Küstenmacher/H-BRS

Ungleichverteilung und Teilhabe

Die Diskussionen zur sozialen Ungleichheit verdeutlichten, wie eng ökonomische Ungleichheit und gesellschaftliche Polarisierung miteinander verflochten sind. Armut und Einkommensungleichheit erreichen historische Höchststände, während Vermögen weiterhin stark konzentriert bleibt bzw. die Konzentration zunimmt. Für viele Menschen bedeutet das: weniger soziale Sicherheit, weniger politische Teilhabe, mehr Zukunftsangst. Populismus gedeiht dort, wo soziale Unsicherheit groß ist. Ein stabiles Gemeinwohl erfordert daher gezielte Maßnahmen gegen Ungleichheit und für faire Zugangschancen.

Samah Al Hashash (DeZIM) zeigte anhand des NaDiRa-Monitoringberichts, dass rassistisch markierte Menschen in Deutschland überdurchschnittlich stark von Armut, Diskriminierung und Ausschlüssen betroffen sind. Prof. Dr. Susanne von Hehl machte anhand ihrer Daten zu 7,9 Millionen schwerbehinderten Menschen und zur hohen Prävalenz psychischer Erkrankungen deutlich, wie groß die Lücke zwischen Gesetzgebung (SGB IX, Behindertengleichstellungsgesetz, UN-Behindertenrechtskonvention) und realer Teilhabe ist. Prof. Dr. Constanze Spieß zeigte auf, wie rechtspopulistische Akteure diese Bruchstellen kommunikativ nutzen, um Misstrauen zu schüren, Institutionen abzuwerten und gesellschaftliche Solidarität zu schwächen.

Ein wichtiger weiterer Impuls kam von Lukas Scholle (Chefredakteur Surplus Magazin). Er argumentierte, dass der Sozialstaat häufig als Kostenfaktor dargestellt wird, insbesondere in wirtschaftlich angespannten Zeiten. Der Begriff „Kostenexplosion“ sei jedoch irreführend. Die Sozialquote, also der Anteil der Sozialausgaben am BIP, bleibe bemerkenswert stabil. Der öffentliche Diskurs folge dennoch dem Frame, dass der Sozialstaat „zu teuer“ sei. Scholle machte deutlich, wie sehr solche Erzählungen politische Handlungsspielräume einengen, obwohl sie empirisch nicht haltbar sind.

Zum Abschluss setzte Emilia Roig einen Impuls Impuls mit einem starken Fokus auf strukturelle Probleme. Sie argumentierte, dass gesellschaftliche Transformation nicht durch ein „trickle down“ entsteht – also dadurch, mehr Menschen in bestehende, oft exklusive Strukturen hineinzubewegen. Stattdessen brauche es einen „trickle up effect“: Veränderungen, die von den Gruppen ausgehen, deren Teilhabe bislang systematisch eingeschränkt wurde. Intersektionalität sei dabei kein akademisches Add-on, sondern ein zentrales Transformationsprinzip. Teilhabe müsse bestehende Systeme herausfordern und sichtbar machen, warum und wo sie Menschen ausschließen.

Roig betonte außerdem, dass Unterschiede zwischen Menschen nicht das Problem seien: Erst ihre Hierarchisierung mache sie zu einer Grundlage für Diskriminierung. Geschlecht sei kein statisches Merkmal, „nicht etwas, das wir sind, sondern etwas, das wir tun“. Aus dieser Perspektive werde deutlich, dass Diskriminierung nicht durch individuelle Maßnahmen oder Appelle überwunden werden kann, sondern ein strukturelles Problem ist, das strukturelle Veränderungen verlangt.

Besonders kritisch hob sie hervor, dass Inklusion in Deutschland häufig als Bringschuld für Menschen mit Migrationsgeschichte verstanden wird: Wer dazugehören will, müsse sich anpassen und bleibe bei Abweichung „falsch“. Diese Logik verschiebt die Verantwortung: nicht Institutionen sollen inklusiver werden, sondern die Betroffenen sich anpassen. So reproduzieren sich jene Ausschlüsse, die eigentlich überwunden werden sollten.

Wir bedanken uns herzlich für den engagierten Austausch und die zahlreichen Denkanstöße. Die Konferenz hat gezeigt, wie groß der Bedarf an offenen, wissenschaftlich fundierten und solidarischen Debatten ist. Vielen Dank an alle, die diesen Tag möglich gemacht und mit Leben gefüllt haben.

Redner*innen: Dr. Dorothee Spannagel, Astrid Schaffert, Lukas Scholle, Wolfgang M. Schmitt, Matthias Meyer, Prof. Dr. Constanze Spieß, Dr. Emilia Roig, Samah Al-Hashash, Prof. Dr. Susanne van Hehl

Moderation: Professor Gert Scobel

Organisation: Christian Kessler, Hanne Kossmann, Isabella Grabowski, Leon Ueberall

Text: Christian Kessler, Leon Ueberall, Fotos: Juri Küstenmacher

Kontakt

Prof. Gert Scobel (DE)

Gert Scobel

Honorarprofessur für Interdisziplinarität und Philosophie, Mitglied des Direktoriums "Zentrum für Ethik und Verantwortung"

Standort

Sankt Augustin

Raum

H 008

Adresse

Grantham Allee 20

53757 Sankt Augustin

Holger Willing ZEV

Holger Willing

Administrativer Geschäftsführer, Projektmanager Forum Verantwortung

Standort

Sankt Augustin

Raum

G 043

Adresse

Grantham-Allee 20

53757, Sankt Augustin

Anlaufstellen

Kontakt: Zentrum für Ethik und Verantwortung (ZEV)

Raum

G 039

Adresse

Grantham-Allee 20

53757, Sankt Augustin

E-mail

zev@h-brs.de