Internationales Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE)

Agenda 2030: Interview mit Rosemarie Stibbe

Dienstag, 22. August 2017

Aktuelle politische Entwicklungen, wie der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimapakt, erschweren die Arbeit der Vereinten Nationen zur Agenda 2030. Rosemarie Stibbe, Wirtschaftsprofessorin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und assoziiertes Mitglied des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung (IZNE), verweist im Interview mit Springer Professional auf die Auswirkungen für Unternehmen.

„"Globales Life Cycle Controlling trägt zur Nachhaltigkeit bei"”

"Globales Life Cycle Controlling trägt zur Nachhaltigkeit bei"

 
Springer Professional: Was versteht man unter dem Begriff "Globales Life-Cycle-Controlling"? Und was verbirgt sich hinter der Agenda 2030?

Rosemarie Stibbe: Die Begriffe "Globales Life-Cycle-Controlling" und die "Agenda 2030" sind thematisch untrennbar miteinander verknüpft. Die am 25. September 2015 verabschiedete Agenda 2030 ist ein globales Aktionsprogramm der Vereinten Nationen, mit dem die zahlreichen negativen Entwicklungstrends, wie zum Beispiel nicht-nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster, Zerstörung von Ökosystemen, Klimawandel, weltweite Wasserkrise und Artensterben, gestoppt oder in ihrem Tempo reduziert werden sollen. 

Das Kernstück der Agenda 2030 bildet ein Katalog mit 17 globalen Zielen, den so genannten "Sustainable Development Goals (SDGs)". Die 17 globalen SDGs werden mithilfe von 169 globalen Unterzielen präzisiert. Die Fortschrittsüberwachung dieser Ziele erfolgt durch ein weltweites Managementsystem auf der Basis quantitativer Indikatoren. Die erfolgreiche Steuerung und Fortschrittsüberwachung setzt voraus, dass diese globalen Ziele vertikal und horizontal auf die Staaten-, Länder- und Unternehmensebene bis in die globalen Lieferantenketten "ausgerollt" werden und die Konsumentenebene einschließen. Im vorstehenden Zusammenhang kommen traditionelle und neue Footprint-Indikatoren zum Einsatz, die negative Verlagerungseffekte, Flächen-, Material-, CO2- und Wasserfußabdrücke in den Import- und Exportflüssen sowie Corporate- und produktbezogene "Fußabdrücke" transparent machen. Die Sicherstellung der Makro-Meso-Mikro-Kompatibilität der eingesetzten Indikatoren bzw. die zielorientierte vertikale und horizontale Koordination sämtlicher Entscheidungsebenen sowie die Fortschrittsüberwachung fallen in den Funktionsbereich des wertschöpfungsketten- und unternehmensübergreifenden globalen Life-Cycle-Controllings.

Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie durch die jüngsten politischen Entwicklungen, beispielsweise durch den G20-Gipfel und die politische Haltung der USA? Wird das die Arbeit der Vereinten Nationen nun beeinflussen?

Donald Trump will dem Pariser Klimapakt den Rücken kehren. Der US-amerikanische Präsident stützt seine Entscheidung auf Basis einer sehr umstrittenen Studie, die mit Blick auf das CO2-Reduktionsziel von 26 bis 28 Prozent einen Abbau von 2,7 Millionen Arbeitsplätzen in den USA prognostiziert. Trump begründet auf dieses Negativszenario seine Reaktion bezüglich der G20-Themenstellungen zu Klima aber auch Handel und zieht sich hinter nationalistische Mauern zurück. Damit distanziert er sich auch von der Prämisse der "globalen Partnerschaft", ohne die die Umsetzung der Agenda 2030 zum Scheitern verurteilt ist. Die wichtigsten Bürgermeister und Gouverneure in den USA stellen sich allerdings gegen Trump und wollen vor dem Hintergrund bereits gestarteter ambitionierter Programme die anvisierten Klimaziele ohne Trump realisieren. Die Arbeit der Vereinten Nationen bezüglich der Umsetzung der Agenda 2030 wird durch diese Entwicklung nicht beeinflusst. Sämtliche Länder sind aufgefordert, alle zwei Jahre über ihre Aktivitäten und Fortschritte vor dem High Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) zu berichten und es bleibt abzuwarten, in welchem Maße sich die  politischen Pläne Trumps auf die Umsetzung der SDGs und hier insbesondere SDG 13 (Klimawandel) auswirken.

Nachhaltigkeit wird auch im Unternehmensalltag immer mehr thematisiert. So beispielsweise auch in Bezug auf das Berichtswesen. Welche Folgen hat die Agenda 2030 für Unternehmen?

Das im Rahmen meines Buches thematisierte Screening der politischen Strategien der Europäischen Kommission sowie der Bundesregierung zeigt, dass der Agenda-2030-Transformationsprozess in Europa und in Folge in Deutschland bereits seit spätestens 2012 eingeleitet ist. Dies liegt darin begründet, dass Deutschland und weitere 13 EU-Staaten in der Arbeitsgruppe Open Working Group/OWG der Vereinten Nationen vertreten waren. Die OWG hat im Rahmen des seit 2012 eingeleiteten Konsultationsprozesses die SDGs erarbeitet, die durch die europäischen Staaten maßgeblich mitgestaltet wurden. Die SDGs sprechen daher zahlreiche Anforderungen an, die in Europa und Deutschland im internationalen Vergleich in den strategischen Umsetzungsplänen verankert oder sogar als weitgehend erfüllt gelten. Europa bekennt sich in dem "Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa" aus dem Jahr 2011 zu seiner Ressourcenverschwendung und fordert die Mitgliedstaaten entsprechend zu einer besseren Ressourceneffizienz und nachhaltigen Produktions- und Konsummustern auf. Die Berechnung von Lebenszykluskosten und Ökobilanzen von Erzeugnissen inkl. Gebäuden sowie eine an Relevanz gewinnende Nachhaltigkeitsberichterstattung stehen im Fokus zahlreicher Strategien.

Und dies wirkt sich auf die Strategie zu Corporate Social Responsibility (CSR) aus?

Bezüglich des CSR-Verständnisses hat die EU-Kommission bereits einen Paradigmenwechsel eingeleitet, der durch die Bundesregierung aufgegriffen wurde. Statt einer uneingeschränkten "Freiwilligkeit" steht nunmehr ein Mix aus Freiwilligkeit und Verbindlichkeit im Fokus der CSR-Strategien. Das spiegelt sich in der bereits in 2016 umgesetzten Vergaberechtsreform sowie in der ab 2017 im Handelsgesetzbuch (HGB) verankerten CSR-Berichterstattungspflicht für Unternehmen von öffentlichem Interesse wider. In Anlehnung an die neuen OECD-Leitlinien werden Unternehmen zur Übernahme ihrer globalen Sorgfaltspflicht in den Lieferantenketten aufgefordert. Im Zuge der an Relevanz gewinnenden CSR-Gütekriterien "Transparenz" und "Rechenschaft/Glaubwürdigkeit" gehen die diesbezüglichen Forderungen deutlich über das SDG-Unterziel 12.6, Nachhaltigkeitsinformationen in die Berichterstattung aufzunehmen, hinaus. Unternehmen sind aufgefordert, Risikomanagementsysteme in ihre globalen Lieferantenketten zu implementieren.

Wie ist das Eco-Management and Audit Scheme (EMAS) damit verknüpft?

Im vorstehenden Zusammenhang erhält das Umweltmanagementsystem EMAS eine an Relevanz gewinnende politische Bedeutung. Zahlreiche Praxisbeispiele verdeutlichen, wie mithilfe von EMAS Wasser-, Flächen-, CO2- und Material-Footprints auf der Unternehmensebene transparent gemacht und mittels eines kontinuierlichen Verbesserungs- und Überwachungsprozesses in den globalen Lieferantenketten gesteuert werden können. EMAS ist aus vorgenanntem Grunde seit 2016 auf nationaler und internationaler Ebene als SDG-Fortschrittsindikator im Agenda-2030-Managementsystem implementiert. EMAS erfüllt darüber hinaus für den ökologischen Bereich die Vorgaben der seit 2017 in Europa geltenden Berichterstattungspflicht.

Wo sehen Sie die größten Hürden für ein erfolgreiches Globales Life-Cycle-Controlling?

Die Umsetzung der Agenda 2030 ist daran geknüpft, dass die gesamte Weltbevölkerung an der Umsetzung der SDGs im Sinne einer globalen Partnerschaft mitwirkt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde allerdings deutlich, dass die komplexe Thematik der Nachhaltigkeit in ihrem Gesamtkontext nur schwer zu vermitteln ist. Lange Zeit wurde daher die Nachhaltigkeit weltweit von vielen Menschen nicht ernst genug genommen! Der notwendige Umstrukturierungs- und Umdenkprozess in Richtung nachhaltiger Verhaltensweisen ist in der Gesellschaft und hier insbesondere auf der Konsumentenebene bislang nur rudimentär erfolgt. Politiker fokussieren sich häufig auf das Ziel, Stimmen zu maximieren. Dieses Ziel lässt sich mit schwierigen und komplexen Nachhaltigkeitsthemen oft nicht vereinbaren. Donald Trump ist im letztgenannten Zusammenhang leider keine Ausnahme. Erschwerend kommt hinzu, dass für zahlreiche Menschen global betrachtet häufig noch nicht einmal Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen und ärztliche Versorgung gesichert sind. Diese Menschen haben existenzielle Sorgen, die keinen Platz für Themenstellungen wie die Nachhaltigkeit lassen! Das Verständnis für die komplexe Thematik Nachhaltigkeit setzt auch ein relativ hohes Bildungsniveau voraus. Die Umsetzungen von

  • SDG 1: Armut überall beenden,
  • SDG 2: Hunger beenden, Ernährungssicherheit für alle erreichen sowie
  • SDG 4: Gleichberechtigte und hochwertige Bildung für alle gewährleisten

sind sicherlich große Herausforderungen, die für die Umsetzung der Agenda 2030 eine wesentliche Basis bilden.

 

Quelle: Springer Professional

Kontakt

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Professorin im Ruhestand Rosemarie Stibbe

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Campus Sankt Augustin, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre insbesondere Controlling und nachhaltiges Management

Standort

Sankt Augustin

Adresse

Grantham-Allee 20

53757 Sankt Augustin

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Katja Bender

Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbes. wirtschaftliche & soziale Entwicklung, Direktorin des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung (IZNE), Studiengangsleitung MBA CSR & NGO Management, Vizepräsidentin European Association for Development Research and Training Institutes (EADI)

Forschungsfelder

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Sankt Augustin

Raum

G 045

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