Kommunikation und Marketing
Interview: Wissensmanagement in einem studentischen Rennsportteam
H-BRS: Herr Professor Reith, Sie betreuen das studentische Motorsportteam an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, das für jede Saison ein neues Elektro-Rennauto konstruiert und baut. In der vergangenen Saison mussten die Studierenden mit einem kaum erprobten Auto starten. Einen Titel in den Fahrdisziplinen konnte das Team daher – anders als in der Vergangenheit – nicht einfahren. Sie haben das so bewertet, dass es eine der wichtigsten Erfahrungen dieses Projekts sei, „aus Fehlern zu lernen und Probleme lediglich als Anlass zu nehmen, weiter zu wachsen“. Wie wichtig sind Fehler für das Weiterkommen einer Lerngruppe?
Dirk Reith: Selbstverständlich möchte man die Zahl der Fehler durch geeignete Prozesse so klein wie möglich halten. Aber das hat Grenzen, da man bei Weitem nicht jedes Problem vorhersehen kann und man in gewissen Phasen unter starkem Zeitdruck handeln muss. Menschen machen Fehler. Mir geht es in meiner Rolle darum, mit Fehlern so gut wie möglich umzugehen. Wenn man eine Atmosphäre schafft, die den Willen und die menschliche Größe fördert, aus eigenen Fehlern nachhaltig zu lernen, dann werden erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen aus dem Projekt erwachsen.
H-BRS: Diese Lernerfahrungen haben neue Teammitglieder ja noch vor sich. Hinzu kommt, dass sie ganz unterschiedliches Vorwissen mitbringen. Wie findet jede und jeder einen guten Platz und kann etwas zum Gesamtergebnis beitragen?
Dirk Reith: Hierzu gibt es mehrere Elemente: Da sind zunächst die sogenannten „Subteams“, also Teilgruppen, die für einen klar umfassten Bereich verantwortlich sind. Dies können technische Einheiten wie Fahrwerk, Software oder Elektrik sein, ebenso wie Sponsoring oder Businessplan. Hier werden die produktiven Arbeiten koordiniert und gemeinsam bearbeitet. Das Besondere daran ist die Selbstorganisation, aber auch die Vielfalt. Studierende aus verschiedenen Studiengängen und Altersstufen arbeiten eng zusammen, was informelles Lernen aller Beteiligten ermöglicht. Insbesondere die vertikale Integration vom Bachelor-Erstsemester bis hin zum Masteranden macht das Projekt recht einzigartig.
Es gibt jedoch auch spezielle Recruitingphasen und Einführungsveranstaltungen, um wiederum zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen will man Neulingen das Onboarding so leicht wie möglich machen, zum anderen ist der Zeitaufwand für die Dozierenden so recht klein, das heißt, es ermöglicht viel Wissenstransfer in kurzer Zeit.
H-BRS: Um gegen die starke Konkurrenz bestehen zu können, muss das Produkt – wie auch das Team insgesamt – beständig weiterentwickelt werden, es muss immer „besser“ werden. Woher bezieht der Einzelne, woher bezieht das Team das dafür notwendige Wissen?
Dirk Reith: Es ist der Grundcharakter von komplexen Aufgaben, dass man nicht alles aus Büchern erlernen kann. Vieles beruht auf dem Erfahrungswissen der jeweils älteren Generation und es entwickelt sich ein kollektives Gedächtnis. Hierbei ist entscheidend, dass jedes Teammitglied einen Sinn in seinen Aufgaben sieht, sich am Erfahrungswissen bedient und einzelne Herausforderungen immer auch ins Gesamtprojekt einordnet, denn die Aufgabe ist zu groß für einen Einzelnen.
Es gibt auch ein curriculares Lehrkonzept mit Projekt- und Wahlmodulen, das ich drumherum entwickelt habe. Die Formula Student ist aber immer in erster Linie ein Projekt von Studierenden. Einige werden sogar seit ein paar Jahren als eigenverantwortliche Co-Referenten oder Co-Dozenten in die Bachelor-Lehre miteingebunden. Das ist eine Konstellation, die ich auf diesem Niveau noch nirgends sonst gesehen habe und eine eigene Dimension, die dazugekommen ist. Zusammengefasst zieht das Team also das Wissen aus sich selbst.
H-BRS: Das Erfahrungswissen geht aber auch wieder verloren, was bei einer Gruppe von Studentinnen und Studenten ganz natürlich ist. Zum Beispiel, weil ältere Mitglieder ihren Abschluss machen und die Hochschule verlassen. Wie gelingen unter diesen Umständen das Bewahren und die Weitergabe von Wissen an nachrückende Mitglieder?
Dirk Reith: Zunächst einmal: Wissen auf viele Köpfe verteilen, verschriftlichen und geordnet abspeichern. Das klingt alles leicht und selbstverständlich, ist es bei der praktischen Umsetzung aber nicht. Was hilft, ist die jugendliche Neugier. Die Studierenden sind sehr findig und offen beim Entdecken neuer Tools, um sich das Leben leichter zu machen. Das allein würde aber nicht reichen, hinzu kommen einige Maßnahmen wie die „Race Academy“ und Anreize durch curriculare Anerkennung des Geleisteten.
Ein weiterer Faktor: Wir haben mittlerweile eine sehr starke Alumni-Basis geschaffen, die uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht, teils auch mit Hilfe von deren Unternehmen, wo wir immer wieder Teammitglieder hinschicken können. Es sind gerade die Alumni, die in Krisenzeiten der aktuellen Teamleitung zur Seite stehen und ihr Wissen weitergeben, wenn es am dringendsten benötigt wird. Das findet sich in keiner Exceltabelle auf dem Cloudspeicher.
H-BRS: Die Gruppe hat ein gemeinsames Projekt, aber alle Beteiligten arbeiten aus freier Entscheidung daran mit und sind gleichberechtigt: Wie können unter diesen Umständen verbindliche Absprachen organisiert werden?
Dirk Reith: Autonomie ist auf jeden Fall ein riesengroßes Thema, da das Projekt von einer hohen Eigenmotivation lebt. Diese kommt erst dann, wenn man das Ding zu seinem eigenen macht. Das ist hier von Anfang an der Fall gewesen, also dass die Studierenden die Kontrolle über das Projekt haben und dafür geradestehen, aber auch stolz auf ihre Arbeit sein dürfen.
So haben wir uns entschieden, eben nicht alles dem Erfolg unterzuordnen, sondern den Spaß an der Sache und das Mitnehmen von allen möglich zu machen. Die Studierenden sagen „Das beste Auto baut man mit Freunden“, und dem kann ich mich nur anschließen.
Dadurch zeichnet sich das Projekt aus. Es ist Leiten ohne hierarchische Machtmöglichkeiten. Sie müssen es schaffen, auch Teammitglieder, die nicht Teil eines Kernteams sind, zu motivieren und anzuleiten. Die müssen auch Lust haben, sie sind genauso wichtig. Das heißt, diese Vielfalt, das Projektmanagement, die Führungskraft, aber eben auch das ganz tiefe technische Verständnis und dessen Weitergabe, das ist das eigentliche Produkt des Projekts, neben dem Rennwagen.
H-BRS: Herr Professor Reith, Sie betreuen das studentische Motorsportteam seit nunmehr zehn Jahren als Faculty Advisor und sind somit die Konstante in diesem von Fluktuation geprägten Projekt: Was wissen Sie heute, was Sie seinerzeit gerne gewusst hätten?
Dirk Reith: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Natürlich weiß ich inzwischen viel mehr über Rennwagen und was nötig ist, um Jahr für Jahr einen Prototypen herzustellen. Dennoch ist jeder Schritt aus seiner Zeit heraus entstanden und aus der konkreten Konstellation von Rahmenbedingungen wie Manpower, Geld, Wissensstand oder Fertigungskapazitäten bei externen Partnern. Heute weiß ich, dass es keine Rezepte gibt, die immer gleich gut funktionieren, und dass man immer auf Überraschungen – positive wie negative – gefasst sein muss.
Interview: Martin J. Schulz
Rennwagenbau an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS)
Die 2016 ins Leben gerufene „Race Academy“ an der H-BRS bildet den formalen Rahmen für Weitergabe von Wissen von erfahrenen Studierenden an neue Teammitglieder.
Kontakt
Dirk Reith
Mathematik, Physik und Simulationsanwendungen (Forschungsprofessur), Direktor des TREE-Instituts, Präsidialbeauftragter - Institutionelle Forschungskooperationen, Faculty Advisor - BRS Motorsport (Formula Student)
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Sankt Augustin
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